Das war einer der Momente, die mich zum Nachdenken gebracht haben: Als wir mit den Studierenden über die Auswahl der aktuellen Themen für das vierte Semester diskutierten, baten mich die Studierenden, diesmal nicht Künstliche Intelligenz als Schwerpunkt zu wählen. Was war der Grund? Sie hatten sich in den vorangegangenen Semestern schon so viel mit KI beschäftigt, dass sie sich eine thematische Abwechslung wünschten. Einige berichteten sogar, dass sie in ihren Unternehmen zwar an KI-Schulungen teilgenommen hätten, dort aber nicht viel Neues gelernt hätten: Ihr Wissen aus dem Studium sei bereits weit darüber hinausgegangen.
Dieses Feedback war für mich ein Moment der vertieften Reflexion über unseren gemeinsamen Bildungsweg. Es öffnete den Raum für eine kritische Betrachtung: Wie haben wir es geschafft, in so kurzer Zeit ein solches Kompetenzniveau zu erreichen? Welche didaktischen Elemente haben sich besonders bewährt? Wie wirkt sich der intensive Einsatz von KI auf die Masterarbeiten aus? Und vor allem: Wie können wir diese organisch gewachsenen KI-Kompetenzen nun systematisch verankern und gleichzeitig flexibel auf die rasanten technologischen Veränderungen reagieren? In diesem Beitrag möchte ich genau diesen Fragen nachgehen - nicht mit endgültigen Antworten, sondern mit Erfahrungen aus der Praxis und dem Wunsch, diesen Weg gemeinsam weiter zu denken.
Wie haben wir ein solches Kompetenzniveau erreicht?
Die Integration von KI in unseren Masterstudiengang erfolgte nicht als radikaler Bruch mit etablierten Praktiken, sondern als organischer, evolutionärer Prozess. Dabei haben wir bewusst einen dezentralen Ansatz gewählt: In jedem Semester werden KI-Inhalte integriert - immer passend zur jeweiligen Lehrveranstaltung. Dieser Ansatz ermöglicht eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit KI-Technologien in unterschiedlichen Anwendungskontexten, vermeidet die Isolation des Themas in spezialisierten Modulen und fördert den Transfer zwischen Theorie und Praxis.
Was mich besonders überrascht und gleichzeitig mit Stolz erfüllt hat, war das Ergebnis unseres Online-Lehrendentreffens. Ich hatte ehrlich gesagt den Überblick verloren, in welchen Lehrveranstaltungen unseres Masterstudiengangs KI wie intensiv eingesetzt wird. Als wir uns darüber austauschten, wurde klar: Es ist längst nicht mehr nur mein persönliches Projekt - viele Lehrende haben KI auf vielfältige Weise in ihre Lehrveranstaltungen integriert, oft mit innovativen methodischen Ansätzen, die ich selbst noch nicht erprobt hatte.
Diese kollektive pädagogische Neugier und das Engagement meiner Kolleginnen und Kollegen haben wesentlich zum Erfolg beigetragen. Sie haben eigenständig Wege gefunden, KI nicht nur als Inhalt, sondern auch als methodisches Werkzeug in ihre Lehrveranstaltungen zu integrieren. Mein Stolz gilt daher nicht nur den Studierenden, die diesen Weg so engagiert mitgegangen sind, sondern auch den Lehrenden, die mit ihrer Experimentierfreude und Reflexionsfähigkeit ein reichhaltiges KI-Ökosystem im Studiengang geschaffen haben - viel umfassender, als ich es alleine hätte entwickeln können.
Welche didaktischen Elemente haben sich besonders bewährt?
In der Reflexion unserer Erfahrungen kristallisieren sich einige didaktische Prinzipien heraus, die sich als besonders wirksam erwiesen haben:
KI als Assistent verstehen: Meiner Erfahrung nach erreiche ich die besten Ergebnisse, wenn ich KI als Assistenz einsetze - mit einem klaren Verständnis sowohl der Möglichkeiten als auch der Grenzen dieser Technologie. Ich erkläre genau, was ich will, hinterfrage alle Ergebnisse kritisch und rechne immer mit unerwarteten Entwicklungen im Funktionsumfang. Diese Haltung des kritisch-konstruktiven Dialogs vermittle ich auch den Studierenden: KI nicht als magisches Werkzeug zu betrachten, sondern als Gesprächspartner mit spezifischen Stärken und Schwächen - "wie ein Teenager mit guten und schlechten Tagen und unvorhersehbaren Entwicklungssprüngen".
Prinzipien statt Tools fokussieren: Wichtig war und ist es, keine reinen Tool-Trainings durchzuführen. Bei spezifischen Tools, die stark aus dem fachlichen Umfeld nachgefragt werden, haben wir die entsprechenden Inhalte in Freifächer ausgelagert. Der Fokus liegt auf den grundlegenden Prinzipien und Denkweisen, nicht auf den spezifischen Benutzeroberflächen bestimmter Anbieter. Dieser Ansatz hat sich gerade angesichts der schnellen Entwicklungszyklen im Bereich der KI als nachhaltig erwiesen.
Gemeinsames Experimentieren fördern: Es hat sich als fruchtbar erwiesen, wie in einem "KI-Labor" zu arbeiten, in dem gemeinsam gelernt und experimentiert wird. Ein Beispiel dafür ist unser Padlet, in dem die Studierenden die von ihnen verwendeten KI-Tools sammeln. Diese kollaborative Praxis des Entdeckens und Reflektierens fördert nicht nur den Wissensaustausch, sondern auch eine Kultur der Offenheit und des gemeinsamen Lernens.
Wechselseitiges Lernen etablieren: Für mich ist es wichtig, den Einsatz von KI als einen gemeinsamen Weg zu verstehen - ich gemeinsam mit den Studierenden. In einigen Anwendungsbereichen haben sie mehr Expertise als ich. So habe ich mich beispielsweise noch wenig mit KI-generierter Musik beschäftigt, während einige Studierende hier bereits wertvolle Erfahrungen sammeln konnten. Dieses gegenseitige Lernen bereichert nicht nur das Studium, sondern bereitet auch auf eine Arbeitswelt vor, in der technologische Expertise zunehmend dezentral verteilt ist.
Wie wirkt sich der intensive Einsatz von KI auf die Masterarbeiten aus?
Das Feedback der Studierenden, dass ihr KI-Wissen aus dem Studium oft fundierter ist als das aus externen Schulungen, ist für mich auch im Hinblick auf die Masterarbeiten von großer Bedeutung. Schließlich ist die Masterarbeit oft die erste große eigenständige Forschungsarbeit und es ist absehbar, dass Forschung in Zukunft ganz selbstverständlich mit Unterstützung von KI stattfinden wird. Es ist daher nicht nur sinnvoll, sondern notwendig, den verantwortungsvollen Umgang damit bereits im Studium einzuüben und zu etablieren.
Die große Herausforderung ist dabei weniger die Zitierpraxis an sich - eine Quelle muss zitiert werden, das bleibt gleich. Die zentrale Frage lautet vielmehr: Was genau ist die Eigenleistung der Studierenden, wenn sie KI als mächtiges Assistenzsystem nutzen? Was darf von der KI im Sinne einer Unterstützung "übernommen" werden und wo muss die originäre wissenschaftliche Arbeit der Studierenden liegen?
Wir sehen, dass KI von vielen Studierenden bereits intensiv im Forschungsprozess genutzt wird - beim Brainstorming von Ideen, bei der Strukturierung der Arbeit, bei der Unterstützung der Literaturrecherche, bei der Formulierung erster Textentwürfe oder sogar bei der Hypothesenbildung und unterstützenden Datenanalyse. Dabei ist unser klares Prinzip, das wir über die Semester hinweg vermitteln: KI ist Assistent, nicht Co-Autor. Die kritische Auswahl der Werkzeuge, die Formulierung der richtigen Fragen (Prompts), die Überprüfung und Einordnung der Ergebnisse und die abschließende Synthese und Argumentation - das ist die unverzichtbare wissenschaftliche Eigenleistung der Studierenden.
Um diese Eigenleistung transparent und nachvollziehbar zu machen und gleichzeitig die Studierenden zur Reflexion ihres Arbeitsprozesses anzuregen, haben wir eine konkrete Maßnahme etabliert: Wir verlangen von allen Studierenden, dass sie in ihrer Masterarbeit eine detaillierte Tabelle einfügen, in der sie den Einsatz von KI-Tools genau dokumentieren. Das heißt: Welches Tool (z.B. ChatGPT, NotebookLM, spezifische Analysetools etc.) wurde für welchen konkreten Zweck (z.B. Ideenfindung für Forschungsfrage X, Unterstützung bei der Literatursuche zu Thema Y, Formulierung von Interviewfragen, erste Strukturierung von Kapitel Z, Unterstützung bei der Interpretation von Daten A) eingesetzt? Diese Tabelle macht den Prozess nicht nur für die Betreuenden transparent, sondern hilft auch den Studierenden selbst, den Einsatz von KI kritisch zu reflektieren und die Grenzen der eigenen Leistung klarer zu ziehen.
Diese Praxis des transparenten und reflektierten Einsatzes von KI ist für uns ein zentrales Lernziel der Masterarbeit. Sie ist der Nachweis dafür, dass die Studierenden nicht nur Fachwissen erworben haben, sondern auch in der Lage sind, zukünftige Forschungswerkzeuge verantwortungsvoll und effektiv einzusetzen. Für uns Lehrende bedeutet das, dass wir uns ebenfalls intensiv mit diesen Fragen auseinandersetzen und gemeinsam mit den Studierenden und untereinander lernen, wie wir wissenschaftliche Exzellenz im Zeitalter der KI definieren und fördern können. Die Masterarbeit wird so zum Experimentierfeld und zum Gradmesser für die zukünftige wissenschaftliche Praxis.
Wie können wir KI-Kompetenzen systematisch verankern und flexibel auf Veränderungen reagieren?
Diese Frage berührt den Kern unserer pädagogischen Herausforderung: Wie gestalten wir Bildungsprozesse in einem sich rasant entwickelnden Feld? Einige Leitlinien haben sich in unserer Praxis als hilfreich erwiesen:
Fokus auf Metakompetenzen: Der Schlüssel liegt nicht primär in der Vermittlung spezifischer Tool-Kompetenzen, sondern in der Entwicklung von Meta-Kompetenzen: der Fähigkeit, neue Technologien kritisch zu bewerten, sich selbstständig in neue Systeme einzuarbeiten und deren Potenziale und Risiken einzuschätzen. Diese übergeordneten Kompetenzen behalten auch angesichts des raschen technologischen Wandels ihre Relevanz.
Kontinuierliche Anpassung der Lehrinhalte: Wir wissen nicht, wie KI und Instructional Design in fünf oder zehn Jahren aussehen werden. Wir können aber auch nicht warten, "bis der Wandel vorbei ist", bevor wir Veränderungen im Studium vornehmen - schon gar nicht in einer berufsqualifizierenden Ausbildung. Die Lösung liegt in einer dynamischen Anpassung der Lehrinhalte, die regelmäßig überprüft und angepasst werden, ohne dabei die grundlegenden Ausbildungsziele aus den Augen zu verlieren.
Dialogische Lernkultur: Als tragfähiges Modell für den Umgang mit technologischer Unsicherheit hat sich in der Praxis die Etablierung einer dialogischen Lernkultur erwiesen, in der Studierende und Lehrende gemeinsam experimentieren, reflektieren und voneinander lernen. Diese Kultur der gemeinsamen Verantwortung für den Lernprozess fördert nicht nur die fachliche Kompetenzentwicklung, sondern auch die Bereitschaft zum lebenslangen Lernen.
Inklusive Zugänge bewahren: Trotz zunehmender technologischer Komplexität ist es mir wichtig, dass unser Studiengang E-Learning und Wissensmanagement weiterhin so gestaltet ist, dass er auch mit geringen digitalen Vorkenntnissen begonnen werden kann. Das erste Semester dient als "Update zur eigenen Digitalisierung" - ein inklusiver Ansatz, der unterschiedliche Ausgangsniveaus berücksichtigt und niemanden zurücklässt.
Vernetzung zwischen Hochschule und Praxis stärken: Die Erfahrung, dass unsere Studierenden in ihren Unternehmen bereits als KI-Expertinnen und -Experten wahrgenommen werden, weist auf Potenziale für einen verstärkten Wissenstransfer zwischen Hochschule und Praxis hin. Diese Brückenfunktion gilt es bewusster zu gestalten und zu nutzen.
Die Zukunft gemeinsam gestalten: Ein Ausblick
Die Zukunft des Lehrens und Lernens mit künstlicher Intelligenz entsteht im gemeinsamen Dialog zwischen Lehrenden, Studierenden und der beruflichen Praxis. In einer Zeit rasanter digitaler Transformation liegt der Schlüssel zum Erfolg nicht in statischem Wissen, sondern in reflektierter Neugier und der Fähigkeit, gemeinsam zu experimentieren und kritisch zu hinterfragen.
Unser Masterstudiengang E-Learning und Wissensmanagement bietet genau dafür den idealen Rahmen - ein Blended-Learning-Format mit sieben Präsenzwochenenden pro Semester in Eisenstadt, das Theorie und Praxis verbindet. Ohne Studiengebühren ermöglichen wir den Zugang zu einer Lerngemeinschaft, die digitale Transformationsprozesse in der Aus- und Weiterbildung aktiv gestaltet.
Möchtest du Teil dieser gemeinsamen Reise sein? Die Anmeldung ist noch bis 31. Mai möglich. Gemeinsam gestalten wir die Zukunft der Bildung - reflektiert, experimentierfreudig und im ständigen Dialog zwischen bewährten Konzepten und mutigen Innovationen.
Meine LinkedIn Beiträge
Die folgenden LinkedIn-Beiträge habe ich seit dem letzten Newsletter veröffentlicht und sind auch ohne LinkedIn-Mitgliedschaft frei zugänglich:
KI als Teamkollege: Neues Arbeiten mit KI
Bereiten wir Lernende richtig auf die KI-Arbeitswelt vor? Die Harvard-Studie "The Cybernetic Teammate" liefert dazu spannende Erkenntnisse. Forschende untersuchten bei Procter & Gamble mit 776 Fachleuten, wie sich KI auf Performance, Expertise-Teilung und soziale Interaktion im Team auswirkt.
KI in der Hochschullehre: 5 entscheidende Fragen, die jetzt Antworten brauchen
Darüber haben Professor Nikolaus Forgó und ich im Podcast gesprochen: Die Neugestaltung des Curriculums, wissenschaftliches Arbeiten im KI-Zeitalter, die Rolle der Lehrenden, Anpassung der Betreuungsprozesse und digitale Grundkompetenzen als entscheidender Faktor.
Hochschule Burgenland nutzt Chatbot als Assistenten für die Themendisposition
Barbara Geyer und Rita Stampfl berichten in ihrem Artikel darüber, wie an der
Hochschule Burgenland ein Chatbot entwickelt wurde, der Studierende bei der Erstellung von Themendispositionen für wissenschaftliche Arbeiten unterstützt.
Musikalische Innovation mit Künstlicher Intelligenz
Im Rahmen des Masterstudiengangs E-Learning und Wissensmanagement haben die Studierenden der Untergruppe „Learning Masters Squad" einen Soundtrack mit Suno AI geschaffen, einem innovativen Tool zur generativen Musikproduktion.
Ich denke eher, das haben sich die Studierenden selbst beigebracht. Diese sind klug und schlau zugleich - viele sind klug und die anderen sind schlau. Sie haben längst erkannt, was man mit den diversen Tools erledigen und wie man sich das Studium erleichtern kann. Überall findet man youtube-Videos, wie man damit umgeht.