"Aber du hast uns doch selbst beigebracht, wie man ChatGPT effektiv nutzt!" Dieser Einwand einer Studentin brachte es auf den Punkt. Als Studiengangsleiterin und Lehrende im Masterstudiengang E-Learning und Wissensmanagement bilde ich meine Studierenden semester- und fächerübergreifend im Umgang mit künstlicher Intelligenz aus. Nun stehe ich vor der Herausforderung, ihre Leistungen in Online-Kursen fair und nachvollziehbar zu bewerten.
Klassische Prüfungsformate stoßen beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz an ihre Grenzen. Nicht nur Multiple-Choice-Fragen, sondern auch kompetenzorientierte offene Fragen können heute mit KI beantwortet werden. Insbesondere in asynchronen Online-Kursen, in denen die Teilnehmenden zeitlich flexibel lernen, stellt sich die Frage: Wie gestalten wir (Online-)Prüfungsformate, die "KI-sicher" sind? Um dieser Herausforderung zu begegnen, sehe ich vier Hauptbereiche, die zusammen KI-sicheres E-Learning ermöglichen.
1. Inhaltliche Gestaltung
Die inhaltliche Gestaltung von Online-Kursen beginnt mit einer klaren Kommunikation des Mehrwerts. Wenn die Teilnehmenden verstehen, warum bestimmte Inhalte für ihre berufliche Entwicklung relevant sind, steigt ihre intrinsische Motivation, sich ehrlich mit dem Stoff auseinanderzusetzen. Das erreichen wir durch die Integration von praxisorientierten Fallstudien und unternehmensspezifischen Aufgabenstellungen. Anstatt allgemeine Fragen zu stellen, die leicht mit KI beantwortet werden können, können wir Aufgaben entwickeln, die direkt an konkretes Kursmaterial und spezifische Arbeitskontexte anknüpfen. Eine typische Aufgabe könnte zum Beispiel lauten: "Analysieren Sie das Diagramm ab Minute 3:45 des Lernvideos in Bezug auf Ihre aktuelle Projektplanung". Solche spezifischen Bezüge erfordern ein echtes Verständnis und eine aktive Auseinandersetzung mit dem Material.
Der zweite wichtige Aspekt der inhaltlichen Gestaltung ist die Förderung des sozialen Lernens und der Selbstreflexion. Durch Peer-Learning-Elemente wird ein Kontext geschaffen, in dem die Lernenden ihr Wissen gemeinsam vertiefen und kritisch diskutieren. Diese Form des Austauschs kann durch KI nicht ersetzt werden. Ergänzend sind Reflexionsaufgaben sinnvoll, die eine Verknüpfung von theoretischem Wissen mit persönlichen Erfahrungen erfordern. Fragen wie "Wie würden Sie diese Methode in Ihrer Organisation umsetzen?" oder "Welche Herausforderungen sehen Sie bei der Umsetzung?" fordern die individuelle Auseinandersetzung und fördern den Transfer in die Praxis. Diese Kombination aus praxisnahen Aufgaben, Peer-Learning und Selbstreflexion macht den Einsatz von KI als reines "Antwort-Tool" unattraktiver und weniger zielführend.
2. Methodische Gestaltung
Bei der methodischen Gestaltung ist es sinnvoll, auf eine bewusste Kombination von unterschiedlichen medialen Formaten und interaktiven Elementen zu setzen. Statt sich auf reine Textmaterialien zu beschränken, können Videos, Grafiken, Animationen und interaktive Komponenten in Online-Kurse integriert werden. Diese Medienvielfalt macht den Lernprozess nicht nur interessanter, sondern auch KI-sicherer, da die komplexe Interaktion mit verschiedenen Medienformaten von KI-Tools noch nicht einfach umgangen werden kann. Besonders effektiv sind interaktive Elemente, bei denen die Lernenden in Echtzeit Entscheidungen treffen müssen - sei es in Videoszenarien oder Praxissimulationen. Diese Form des aktiven Lernens fördert nicht nur das Verständnis, sondern macht auch den Einsatz von KI weniger praktisch.
Ein weiterer zentraler Aspekt des methodischen Designs ist die Personalisierung des Lernprozesses. Sinnvoll sind adaptive Lernpfade, die sich dem individuellen Vorwissen und Lernfortschritt anpassen. Die Integration von Micro-Learning-Elementen mit kurzen Lerneinheiten und regelmäßigen Zwischenprüfungen stellt sicher, dass der Stoff auch wirklich verstanden wird. Ergänzt wird das durch Gamification-Elemente wie Serious Games und Simulationen, die Entscheidungen in Echtzeit erfordern. Diese Kombination aus personalisierten Aufgaben, adaptiven Lernwegen und spielerischen Elementen macht nicht nur den Einsatz von KI unattraktiver, sondern optimiert auch den individuellen Lernerfolg. Der Zeitaufwand für den Einsatz von KI-Tools würde in diesem Setting oft den Aufwand für die eigentliche Bearbeitung übersteigen.
3. Technische Maßnahmen
Die technische Umsetzung von KI-sicheren Online-Kursen beginnt bei der kontrollierten Nutzung von Lernmaterialien, insbesondere von Videos. Beispielsweise kann ein durchdachtes System von Zugriffsbeschränkungen implementiert werden: Videos können nicht heruntergeladen, vorgespult oder automatisch abgespielt werden. Diese Maßnahmen stellen sicher, dass sich die Lernenden tatsächlich mit den Inhalten auseinandersetzen müssen. Checkpoints werden erst nach vollständigem Ansehen der Inhalte freigeschaltet, was ein oberflächliches "Überfliegen" der Materialien verhindert. In Prüfungssituationen ist zudem auf sichere Browserumgebungen zu achten, die den Zugriff auf externe Ressourcen wie KI-Tools technisch unterbinden und parallele Anwendungen blockieren.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die systematische Analyse des Lernverhaltens in Kombination mit dynamischen Prüfungsinhalten. Viele Systeme protokollieren Bearbeitungszeiten, Antwortmuster und Nutzerverhalten, so dass ungewöhnliche Aktivitäten, die auf den Einsatz von KI hindeuten könnten, erkannt werden könnten. Diese Daten können nicht nur zur Kontrolle, sondern auch zur kontinuierlichen Verbesserung der Lernangebote genutzt werden. Besonders effektiv ist der Einsatz großer, dynamischer Fragenpools: Durch zufällige Auswahl und variable Formulierung der Fragen wird das Sammeln und Teilen von KI-generierten Antworten unpraktisch.
4. Prüfungsgestaltung
Das möglichst "KI-sichere" Prüfungsdesign basiert auf einem Mix verschiedener Ansätze, die echtes Verständnis statt bloßer Reproduktion prüfen. Den Kern bilden komplexe, kontextbezogene Aufgaben, die sich direkt auf spezifische Kursinhalte, Abbildungen oder Fallbeispiele beziehen. Solche Fragen machen standardisierte KI-Antworten weniger brauchbar, da sie ein tieferes Verständnis und die Fähigkeit, Wissen anzuwenden, erfordern. Besonders effektiv sind in diesem Zusammenhang Open-Book-Prüfungen mit Fokus auf Problemlösung: Die Teilnehmenden dürfen zwar Hilfsmittel verwenden, müssen ihr Wissen aber auf komplexe, praxisnahe Problemstellungen anwenden. Dabei spielt die zeitliche Komponente eine wichtige Rolle - die Prüfungen sind so konzipiert, dass sie bei guter Vorbereitung gut zu bewältigen sind, aber wenig Spielraum für zeitaufwändige Recherchen lassen.
Eine weitere Säule des Prüfungskonzepts ist die Kombination verschiedener Prüfungsformate. Als besonders effektiv haben sich mündliche Prüfungen erwiesen, sowohl online als auch vor Ort. Im direkten Gespräch können Verständnis und Transferleistung durch gezieltes Nachfragen und spontane Diskussionen unmittelbar überprüft werden. Für Online-Prüfungen bieten sich verschiedene Monitoring-Methoden wie Live-Proctoring oder automatisierte Systeme an, die eine faire und kontrollierte Prüfungsumgebung gewährleisten. Die Integration klassischer Präsenzprüfungen in das Gesamtkonzept dient der zusätzlichen Absicherung. Diese Kombination verschiedener Prüfungsformate ermöglicht eine umfassende und authentische Bewertung der Kompetenzen der Teilnehmenden.
Erfolgsfaktoren für die Umsetzung
Die erfolgreiche Umsetzung dieser vier Bereiche - inhaltliche und methodische Gestaltung, technische Maßnahmen und Prüfungsgestaltung - hängt von mehreren Faktoren ab. Zunächst muss die Balance zwischen Kontrolle und Lernerlebnis stimmen. Zu viele Einschränkungen können die Motivation der Lernenden beeinträchtigen und den Lernprozess erschweren. Gleichzeitig sollte der Schwerpunkt auf echtem Verständnis und praktischer Anwendung liegen und nicht darauf, den Einsatz von KI um jeden Preis zu verhindern.
Es ist wichtig zu verstehen, dass keine einzelne Maßnahme allein ausreicht, um Online-Kurse "KI-sicher" zu machen. Erst die sinnvolle Kombination verschiedener Ansätze führt zum Erfolg. Diese Ansätze müssen zudem regelmäßig überprüft und angepasst werden, da sich sowohl die technischen Möglichkeiten als auch das Nutzerverhalten ständig weiterentwickeln. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der kontinuierlichen Weiterentwicklung der Konzepte und in einem offenen Dialog mit den Lernenden über den sinnvollen Einsatz von KI im Bildungskontext.
Eine Danksagung
Die hier vorgestellten Ansätze sind das Ergebnis eines intensiven Austauschs mit meinen Studierenden. Im Rahmen einer Lehrveranstaltung im Masterstudiengang E-Learning und Wissensmanagement haben sie sich mit der Frage beschäftigt, wie asynchrone, unbeaufsichtigte Online-Kurse "KI-sicher" gestaltet werden können. Mit ihrer Expertise und ihren kreativen Ideen haben sie maßgeblich zu den in diesem Text vorgestellten Konzepten beigetragen. Mein besonderer Dank gilt daher den Studierenden des 3. Semesters des Masterstudiengangs E-Learning und Wissensmanagement an der HAW Burgenland. Ihre vielfältigen Perspektiven und ihr Engagement haben nicht nur diesen Beitrag bereichert, sondern auch gezeigt, wie gewinnbringend die gemeinsame Arbeit an aktuellen, praxisrelevanten Themen sein kann - vor allem, wenn dabei auch das Lachen nicht zu kurz kommt.
Meine LinkedIn Beiträge
Die folgenden LinkedIn-Beiträge habe ich seit dem letzten Newsletter veröffentlicht und sind auch ohne LinkedIn-Mitgliedschaft frei zugänglich:
Verbessert ChatGPT das Lernen der Studierenden?
Was lernen wir aus 1.600 ChatGPT-Studien? 🎓 Deng et al. (2025) haben die erste große Metastudie zur Wirksamkeit von ChatGPT in der Bildung vorgelegt - mit überraschenden Ergebnissen.
KI in der österreichischen Hochschullehre
Was denken 5.000 Menschen über KI an Hochschulen? 🔍 Die fnma-Studie von Brandhofer et al. (2024) zum Einsatz von KI an österreichischen Hochschulen liefert wichtige Erkenntnisse.
KI steuert PC: Microsoft's Large Action Models
Kann KI jetzt selbstständig deinen Computer bedienen? 🤖 Die Publikation von Wang et al. (2024) zu Large Action Models (LAMs) in Zusammenarbeit mit Microsoft zeigt: KI-Systeme können inzwischen eigenständig mit dem Computer interagieren und Aufgaben ausführen.